12 wichtige Aspekte zur Debatte über "das Kopftuch" und muslimische Frauen

Archiv der AG "Muslimische Frau in der Gesellschaft"

1.
Wichtig ist, dass in der Diskussion über muslimische Frauen und "den Islam" an vielen Stellen differenziert werden muss, will man sich wirklich ernsthaft auseinandersetzen.

2.
Wichtig ist, dass es sich beim "muslimischen Kopftuch" nicht wie immer wieder behauptet, um ein politisches oder religiöses "Symbol" handelt, sondern um einen Teil der Bekleidung seiner Trägerin, um ein Kleidungsstück.

Das Bundesverfassungsgericht stellte in diesem Zusammenhang fest: "Eine Verpflichtung von Frauen zum Tragen eines Kopftuches in der Öffentlichkeit lässt sich nach Gehalt und Erscheinen als islamisch-religiös begründete Glaubensregel dem Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG hinreichend und plausibel zuordnen." (BverfGE 2BvR 1436/02, vom 24.9.2003)

3.
Wichtig ist, dass es einer groben Missachtung der Glaubensüberzeugung und Glaubenspraxis von muslimischen Frauen gleichkommt, ihnen anstelle von religiösen Überzeugungen, politische bzw. extremistische Gründe für das Tragen ihres Kopftuches zu unterstellen.
Hierin zeigt sich eine Stigmatisierung muslimischer Frauen, die jedem Prinzip der gegenseitigen Achtung der verschiedenen Menschen innerhalb unserer Gesellschaft und dem respektvollen Umgang mit Menschen anderer (religiöser) Überzeugungen widerspricht.

Fälle, in denen das Kopftuch als politisches Symbol instrumentalisiert wird, stellen eine Ausnahmeerscheinung dar, die keinesfalls auf die Mehrheit der Muslime in Deutschland übertragen werden kann.

4.
Wichtig ist, dass muslimische Frauen, die aus religiösen Gründen ein Kopftuch tragen, weder gewaltbereit sind, noch Terrorismus befürworten oder unterstützen.
Gerade muslimische Frauen, die sich bewusst mit ihren religiösen Quellen auseinandersetzen und sich an den darin dargelegten Prinzipien orientieren, fühlen sich dem friedlichen Charakter des Islam verpflichtet und treten für das Recht auf die freie Wahl der Religion ein:

"Es gibt keinen Zwang im Glauben" - "La ikraha fi-d-din". (Qur'an Sure 2, Vers 256)

"Und hätte Dein Herr es gewollt, so hätten alle, die insgesamt auf der Erde sind geglaubt. Willst du also Menschen dazu zwingen, Gläubige zu sein?" (Qur'an Sure 10, Vers 99)

5.
Wichtig ist, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 24.9.2003 festgehalten hat, dass die Neutralität des Staates keine strikte Trennung von Staat und Religion bedeutet, sondern als eine "…offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung zu verstehen (ist)…". (BverfGE v. 24.9.2003)

Diese Neutralitätsforderung weist keinen Widerspruch zum Verständnis einer kopftuchtragenden muslimischen Frau bzw. Lehrerin auf, die nicht nur im Sinne des Grundgesetzes, sondern darüber hinaus auch im Sinne der islamischen Quellen für Religionsfreiheit eintritt (s.o.)

6.
Wichtig ist, dass "das Kopftuch" kein Zeichen der Abgrenzung gegenüber der deutschen Gesellschaft ist, sondern zur Identität seiner Trägerin gehört, die bei den meisten muslimischen Frauen in Deutschland gleichzeitig sowohl "deutsch", als auch "muslimisch" geprägt ist.

7.
Wichtig ist, dass es stimmt, dass Frauen in manchen so genannten "islamischen" Ländern gezwungen werden, ein Kopftuch zu tragen, und dass diese Problematik zum Teil auch innerhalb von Familien in Deutschland auftritt.

Diesen Zwang lehnen wir entschieden ab!

Die Entscheidung für oder gegen das Tragen eines Kopftuches betrifft die persönliche Glaubensausübung einer muslimischen Frau und liegt allein in ihrer Verantwortung!

8.
Wichtig ist, dass es bezüglich der Problematik des Kopftuchzwanges u.ä. auch dringenden innermuslimischen Klärungsbedarf gibt. Diese innermuslimische Diskussion wird aber durch staatliche Zwänge nicht gefördert, sondern behindert.

9.
Wichtig ist, dass es für Gespräche mit muslimischen Eltern und das Selbstverständnis und Selbstbewusstsein muslimischer Mädchen gerade förderlich sein kann, auch muslimische Lehrerinnen (und somit zugleich gut gebildete muslimische Frauen) im Kollegium zu haben, die selber ein Kopftuch tragen und die freie Entscheidungsmöglichkeit in diesem Bereich als grundlegend ansehen und diese Haltung islamisch begründen können.

Kopftuchtragende Pädagoginnen können am ehesten aufgrund gemeinsamer religiöser Bindungen positiv auf Familien einwirken, die ihren Töchtern Zwang antun.
Positive Veränderungen lassen sich in diesem Bereich aber nur erzielen, wenn man tatsächlich anfängt, die unterschiedlichen Menschen in Deutschland als gleichberechtigte Menschen und BürgerInnen dieses Landes anzuerkennen. Dazu gehören die gegenseitige Achtung und die Anerkennung der Verschiedenheit auf Grundlage des Grundgesetzes sowie die Förderung des gleichberechtigten Dialogs innerhalb unserer Gesellschaft.

10.
Wichtig ist, dass der Zwang gegenüber Frauen, ihr Kopftuch abzulegen, kein geringerer Zwang ist, als der, das Tragen eines Kopftuches vorzuschreiben.

Diesen Zwang lehnen wir ebenso entschieden ab!

Dieser Zwang verletzt genauso das Selbstbestimmungsrecht von Frauen und zugleich das Recht auf freie Religionsausübung, wie der Zwang, ein Kopftuch zu tragen!

Die Schwere des Einschnitts in das Recht auf die freie Religionsausübung und das Selbstbestimmungsrecht von (muslimischen) Frauen durch ein Verbot zum Tragen ihres Kopftuches im öffentlichen Dienst, ist nicht vergleichbar mit dem Einschnitt, kein religiöses Symbol wie ein sichtbares Kreuz zu tragen. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass es sich beim Kopftuch nicht um ein "Symbol" handelt, sondern um ein Bekleidungsstück, mit dem eine (muslimische) Frau, ihrer religiösen Überzeugung entsprechend, ihre Haare bedeckt.

11.
Wichtig ist, dass die Argumentation, durch ein Kopftuchverbot zur Emanzipation und somit "Befreiung" von Frauen beizutragen, nur denen einleuchtend erscheinen kann, deren Selbstverständnis das Tragen eines Kopftuches ausschließt.

Das Eintreten für die Rechte von Frauen und die Förderung ihrer Emanzipation, d.h. die Anerkennung ihrer Fähigkeit zur individuellen und kritischen Urteilsbildung und die Förderung ihrer eigenverantwortlichen Lebensgestaltung, kann nicht bedeuten, Frauen ein bestimmtes Konzept als ihre "Befreiung" aufzudrängen, sondern muss darauf abzielen, die tatsächlichen und auch unterschiedlichen Bedürfnisse von Frauen wahrzunehmen und sich damit auseinanderzusetzen.

Es ist unsachgemäß, "das Kopftuch" auf ein "Symbol für die Unterdrückung von Frauen" zu verkürzen!

Aus der Tatsache, dass sich muslimische Frauen und Männer unterschiedlich kleiden, lässt sich nicht zwangsläufig die Unterdrückung von Frauen schlussfolgern. Weltweit findet man Unterschiede in den Bekleidungsarten von Männern und Frauen, ohne dass dies einen Widerspruch zur Gleichstellung von Frauen und Männern darstellt.
Viele muslimische Frauen sehen in der Art ihrer Bekleidung einen wichtigen Beitrag dazu, nicht auf ihr äußeres Erscheinungsbild reduziert zu werden. Das Tragen ihres Kopftuches ist folglich ein wichtiger Bestandteil ihres Selbstbestimmungsrechtes als Frau und somit ihrer Freiheit und Emanzipation.

Inwieweit eine Frau emanzipiert ist, lässt sich nicht anhand von äußerlichen Merkmalen, wie der Art der Bekleidung ablesen. Die Frage nach der Emanzipation einer Person lässt sich nur im Zusammenhang mit ihren inneren Überzeugungen und persönlichen Auffassungen beantworten.
Nicht ein Kopftuchverbot fördert die Emanzipation und Gleichstellung von Frauen, sondern der Einsatz sowohl gegen einen Kopftuchzwang, als auch ein Kopftuchverbot.

12.
Wichtig ist, dass muslimischen Frauen bzw. Lehrerinnen, die ein Kopftuch tragen, ohne jegliche Grundlage unterstellt wird, dass sie nicht die notwendige Befähigung zur Förderung einer pluralistischen Erziehung, im Sinne einer Erziehung zur Achtung und Akzeptanz religiöser und weltanschaulicher Vielfalt besäßen und der staatlichen Neutralitätspflicht in öffentlichen Ämtern nicht gerecht würden.

Wie (ernst) ist eine Erziehung zur Achtung und Akzeptanz von religiöser und weltanschaulicher Vielfalt und die religiöse Neutralität des Staates von den Verantwortlichen tatsächlich gemeint, wenn man, wie in der aktuellen Debatte, auf eine so undifferenzierte und vorurteilshafte Weise mit muslimischen Frauen bzw. Lehrerinnen umgeht und radikale Ausschlussgesetze plant?

Die Diskussion über "das Kopftuch", wie sie bisher geführt wurde, hat schon viel Schaden angerichtet, für Musliminnen und Muslime und für das gesellschaftliche Klima insgesamt.
Die Verbote, die jetzt erlassen werden (sollen), tragen dazu bei, wesentliche Grundprinzipien des gesellschaftlichen Zusammenlebens der verschiedenen BürgerInnen unserer Gesellschaft außer Kraft zu setzen, indem Grundrechte, die insbesondere auch zum Schutz von Minderheiten von Bedeutung sind, in gravierendem Maß nachhaltig beeinträchtigt werden.
Die Art und Weise des Umgangs mit der Debatte hat unter MuslimInnen zu großer Enttäuschung, ja zuweilen sogar Verbitterung geführt und ein gesellschaftliches Klima geschaffen, das für die weiteren Perspektiven eines gleichberechtigten und pluralistischen Zusammenlebens der verschiedenen BürgerInnen in Deutschland sehr schädigend ist.
Wir appellieren deshalb an Sie, der sehr emotionalisierten und undifferenzierten Art des Umgangs mit der Diskussion entgegen zu treten und die gleichberechtigte Existenz der verschiedenen BürgerInnen in unserer Gesellschaft anzuerkennen und zu fördern. Dies bedeutet im Fall der Auseinandersetzung um "das Kopftuch" zuallererst, auch die Sicht der betroffenen muslimischen Frauen wahrzunehmen und sie zu berücksichtigen!