Der Mord an Marwa el-Sherbini – Verschleierungen und Versäumnisse

Von Silvia Horsch

Am 1. Juli hat ein Mord aus Fremdenfeindlichkeit und Islamhass stattgefunden. Das Motiv ist vielleicht selten so offensichtlich wie in diesem Fall: Der Täter, Alex W. hatte die kopftuchtragende Marwa el-Sherbini ein Jahr zuvor auf einem Spielplatz als „Islamistin“ „Moslemschlampe“ und „Terroristin“ beschimpft. Ein Dresdner wurde Zeuge dessen und rief die Polizei, es kam zu einem Verfahren wegen Beleidigung. Zusammen mit ihrem Mann und ihrem dreijährigen Sohn lebte Marwa el-Sherbini seit wenigen Jahren in Dresden, wo sie als Apothekerin arbeitete und ihr Mann am Max-Planck-Institut promovierte. Alex W. wurde zu einer Geldstrafe von 780 Euro verurteilt, ein Urteil, das aufgrund von weiteren menschenverachtenden Äußerungen während des Prozesses von der Staatsanwaltschaft als zu milde, von ihm selbst als ungerechtfertigt angesehen wurde. Im Berufungsverfahren sagte Marwa el-Sherbini als Zeugin aus. Nach ihrer Aussage stürzte sich Alex W. mit den Worten „Du hast kein Recht zu leben!“ auf sie und metzelte sie mit 18 Messerstichen (innerhalb von 30 Sekunden) nieder. Ihr Ehemann, Elvi Ali Okaz, wurde beim Versuch sie zu schützen von einem zu Hilfe gerufenen Polizisten irrtümlich angeschossen. Marwa el-Sherbini starb noch im Gerichtssaal, sie war im dritten Monat schwanger. Ihr Mann wurde schwer verletzt und der dreijährige Sohn musste alles mit ansehen. Die Familie wollte in drei Monaten nach Ägypten zurückkehren – nun ist sie zerstört.

Die wichtigen Fragen wurden nicht gestellt

In den ersten Tagen wurde über das Verbrechen unter Überschriften wie „Zeugin von Angeklagtem vor Gericht erstochen“, und „Streit um eine Schaukel“ in der Rubrik „Panorama“ und „Vermischtes“ berichtet. Man dachte an ein Gerichtsdrama und einen eskalierten Nachbarschaftsstreit – schreckliche Dinge, die aber nun mal leider vorkommen.
Dann wurden die Motive „Rassismus“ und „Ausländerhass“ aufgrund der ägyptischen Herkunft von Marwa el-Sherbini vermutet und vom Sprecher der Staatsanwaltschaft mittlerweile auch bestätigt. Ihr Kopftuch, das sie als Muslimin erkennbar machte, wurde in den meist kurzen Artikeln der ersten Tage zwar ab und an erwähnt, aber die Frage nach einem islamophoben Hintergrund der Tat nicht gestellt.

Eine Woche später fragt sich Andrea Dernbach im Tagesspiegel und der Zeit:

Warum ist der Tod einer Kopftuchträgerin, die nicht Opfer eines Ehrenmords wurde, eine Woche lang nur eine kurze Meldung in den Nachrichtenagenturen und auch für die politischen Institutionen kein Grund, auch nur zu zucken?

Sie stellt folgende Vermutungen an:

Könnte es sein, dass dieser Tod – es wird wegen Mordes ermittelt – nicht in unser Raster passt? […] Vielleicht schaut man da weg, weil das Hinschauen zu viele populäre Dogmen Lügen strafen würde. Den Lehrsatz "Bildung ist der Schlüssel zur Integration" zum Beispiel. Hier starb eine junge bestausgebildete Frau, verheiratet mit einem Landsmann, der in Sachsen am angesehenen Max-Planck-Institut arbeitete – wer weiß, ob das die Wut des Täters nicht sogar gesteigert hat? Oder nehmen wir den: "Islam und westliche Gesellschaft passen nicht zusammen". Marwa E. wehrte sich auf eine nicht nur rationale und zivile, sondern nebenbei auch überaus deutsche Weise: Statt zurückzubrüllen oder zuzuschlagen, erstattete sie Anzeige. Und eine weitere Wahrheit sollte schmerzen: Die Assoziation "Islam, Islamist, Terrorist", das alles ausgelöst durch den Anblick eines Menschen mit etwas dunklerer Haut und einem Kopftuch, lässt sich schwer als Einzelfall abtun.

Über die Versäumnisse der Medien berichtet auch The Guardian.

Solche und solche Opfer

Mich erinnert die Berichterstattung auch an den medialen Umgang mit den Ergebnissen einer Studie, die vom BMFSFJ in Auftrag gegeben und im Januar 2007 veröffentlicht wurde. Es ging um „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“. Zwei der Ergebnisse lauteten:

  1. 38% der türkischen Migrantinnen erlebten Gewalt durch den eigenen Partner, gegenüber 25% der mehrheitlich deutschen Gruppe der Hauptuntersuchung,
  2. 61% der türkische Migrantinnen haben psychische Gewalt durch wenig oder nicht bekannte Personen im öffentlichen Raum erlebt (gegenüber 42% der mehrheitlich deutschen Frauen) und 54% geben an, aufgrund des Geschlechts, des Alters oder der Herkunft benachteiligt oder schlecht behandelt worden zu sein (gegenüber 26%).

Welches Ergebnis wurde in den Medien häufig erwähnt und welches wurde kaum thematisiert? Richtig geraten. Eine muslimische Frau ist als Opfer ihres eigenen Ehemanns, Vaters oder Bruders offenbar viel interessanter denn als Opfer fremden- und islamfeindlicher Personen in ihrer Umgebung.

Fassungslosigkeit in Ägypten

Dass sich die Medien schließlich der Islamophobie doch noch annehmen, liegt nicht daran, dass eine Frau aus islamfeindlichen Motiven ermordet wurde, sondern an den Protesten im Ausland, vor allem bei der Beerdigung Marwa el-Sherbinis in Ägypten, und der dortigen Berichterstattung, die Islamhass in Deutschland beklagt. Auslandskorrespondenten berichten darüber und kritisieren die spärlichen Reaktionen von Politik und Medien:

„‘Schwangere Deutsche in Ägypten erstochen!‘ Was wäre da los. Wie würden die deutschen Medien berichten, wie würden die Deutschen reagieren, fragt der aufgebrachte junge ägyptische Blogger Hischam Maged. „Wie würde darüber berichtet, wenn eine westliche Frau irgendwo auf der Welt – Gott verbiete im Nahen Osten – von einem muslimischen Extremisten niedergestochen worden wäre? schreibt er. Eine Frage, in der eine Menge Wut, Fassungslosigkeit und Ärger steckt.“ (taz.de 09.07)

Ablenkungsmanöver und Verdrängungsstrategien

Nach solchen Nachrichten echauffiert man sich in der Welt über „emotionale Debatte über den Mord“ und weist darauf hin, dass Deutschland jetzt – nachdem Axel Köhler (KRM) auf eine islamophobe Stimmung bis in die Mitte Gesellschaft aufmerksam gemacht hat – stärker durch islamistische Anschläge gefährdet sei. Die Suedddeutsche hält fest, dass „die mörderische Tat des erst 2003 nach Deutschland gekommenen Mannes mindestens so viel über die in Russland vorherrschende Islamphobie aussagt wie über Fremdenfeindlichkeit in Deutschland.“ Islamophobie gibt es demnach nur in Russland. Überhaupt fällt oft auf, dass die Herkunft von Alex W. in einer Art und Weise in den Vordergrund gestellt wird, die die Frage nach einer möglichen Mitverantwortung der deutschen Öffentlichkeit für eine solche Tat gar nicht erst aufkommen lassen soll. Der Täter ist ein „Ausländer“ wird auf diese Weise suggeriert (was das Motiv des „Ausländerhasses“ allerdings ungewollt erklärungsbedürftig macht).

"So was wie Dich sollte man die Wand stellen"

Es fällt den Medien, aber auch der Politik ganz offensichtlich schwer, Islamophobie als Phänomen ernst zu nehmen und in diesem Mordfall als Hintergrund der Tat angemessen zu thematisieren. Mit Sicherheit ist Alex W. ein Rassist und fremdenfeindlich. Aber es gibt mittlerweile eine islamophobe Unterart des Rassismus, die mit dem Kriterium der „Rasse“ zwar verbunden werden kann, aber auch ohne „Rasse“ auskommt und nur auf die Religionszugehörigkeit abzielt. (Ich selbst wurde vor einiger Zeit abends im Bus von einem jungen Mann mit den Worten bedroht: „So was wie Dich sollte man an die Wand stellen!“ Meine deutsche Herkunft war ihm nur ein noch größeres Ärgerniss.) Rassismus/Fremdenfeindlichkeit und Islamophobie als Motive gegeneinander auszuspielen, macht keinen Sinn. Ebensowenig macht es Sinn, nur über die Begriffe und nicht über die damit bezeichneten Phänomene zu diskutieren. (Zum mißverständlichen Begriff der Islamophobie vgl. Heiner Bielefeld, Das Islambild der Deutschen: "Gemeint sind damit nicht etwa generelle Ängste vor dem Islam (wie dies das Wort fälschlich suggeriert), sondern negativstereotype Haltungen gegenüber dem Islam und seinen tatsächlichen oder mutmaßlichen Angehörigen. Eine islamophobe Einstellung kann sich unter anderem in verbalen Herabsetzungen und Verunglimpfungen, strukturellen Diskriminierungen oder auch tätlichen Angriffen gegenüber Menschen mit muslimischem Hintergrund ausdrücken.

Endlich Reaktionen

In der taz und der FR wird schließlich das Phänomen beim Namen genannt: „Man nennt es Islamophobie“ (Hilal Sezgin) und „Mord mit islamfeindlichem Hintergrund?“. Zuvor hatten sich eine Reihe von Organisationen und Gruppen der Zivilgesellschaft kritisch zu Wort gemeldet, das Institut für Medienverantwortung, der Interkulturelle Rat, die islamischen Verbände zum Teil erstaunlich spät (der Koordinationsrat gab erst eine Woche später eine Erklärung ab), die Grünen Muslime, Vertreter der Wissenschaft, zu nennen sind hier insbesondere Iman Attia von der der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin und Peter Widmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung (hier eine Studie von ihm zum Thema) und nicht zuletzt der Zentralrat der Juden. Deren Generalsekretär Stephan Kramer besuchte gemeinsam mit dem Generalsekretär des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, den verletzten Ehemann. Kramer übte deutliche Kritik an den „unverständlich spärlichen“ Reaktionen von Politik und Medien.
In einem Beitrag für die Deutsche Welle wundert er sich zudem darüber, dass diese gemeinsame Aktion eines Juden und eines Muslims offenbar mehr mediale Aufmerksamkeit findet als der Mord selbst und schreibt:

Angesichts dieser Situation tut ein klärendes Wort Not. Ich bin nicht nach Dresden gefahren, weil ich als Jude Angehöriger einer Minderheit bin. Ich unternahm die Reise, weil ich als Jude weiß: Wer einen Menschen wegen dessen Rassen-, Volks- oder Religionszugehörigkeit angreift, greift nicht nur die Minderheit, sondern die demokratische Gesellschaft als Ganzes an. Deshalb ist nicht die Frage relevant, warum ein Vertreter der jüdischen Gemeinschaft Elwi Ali Okaz seine Trauer und Solidarität bekundete, sondern die, warum es nicht auch einen massiven Besucherstrom oder Solidaritätsadressen von Vertretern der deutschen Mehrheitsgesellschaft gab? Warum kamen die Reaktionen der Medienlandschaft wie der Politik auf den Mord so spät? Jetzt wird, nicht zuletzt unter dem Druck der internationalen Öffentlichkeit, nachgebessert. Allerdings überzeugt erzwungene Betroffenheit nicht.

Nach massiven Forderungen verschiedener Politiker der Grünen, Linken, FDP und SPD gibt die Integrationsbeauftragte Maria Böhmer am 10.07. (!) eine Presseerklärung ab.
Dem innenpolitischen Sprecher der Fraktion von CDU/CSU fällt hingegen nur folgendes ein: "Wenn es ein politisches Phänomen wäre, dass typischerweise Russlanddeutsche auf islamische Frauen losgehen, dann müsste sich die Politik äußern", sagte Hans-Peter Uhl. Die Tat sei aber ein Einzelfall. Anscheinend brauchen wir erst eine Mordserie, bevor Christdemokraten erwägen, über die zunehmende Islamfeindlichkeit in Deutschland nachzudenken.

Antiislamische Hetze und islamophobe Einstellungen

Die islamischen Verbände, die Grünen Muslime und andere Institutionen haben in Stellungnahmen auf Webseiten und Gruppierungen, wie Politically Incorrect (PI) und Pro NRW hingewiesen, die islamfeindliche Einstellungen verbreiten. Die Artikel und Kommentare von PI-Lesern zeugen von einer nicht erträglichen und meiner Meinung nach nicht hinnehmbaren Menschenverachtung. Ähnliche Äußerungen wie auf PI finden sich auch in den Kommentaren zu Artikeln der Welt (Welt Online am 06.07.): Der Täter Alex W. wird als „Freiheitskämpfer“ bezeichnet und für das Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen, ein Leser registriert erfreut „Ein Pinguin/Schleiereule weniger“ und einige Kommentare weiter unten ergänzt ein anderer: „ +Pinguinbaby ;o)“. Aus welcher Richtung diese Kommentare kommen, verdeutlicht ein weiterer Beitrag: „Die Züge gen Auschwitz müssen wieder rollen!“. Mittlerweile wurde aus bisher unbestätigter Quelle bekannt, dass es sich bei Alex W. um einen NPD-Wähler handeln soll, kurz vor dem Mord soll er ausgerufen haben: „wenn die NPD an die Macht kommt, ist damit (mit dem Lebensrecht für Muslime/Ausländer in Deutschland) Schluss“. Ein Artikel in der Zeit, der sich mit dem fremden- und islamfeindlichen Hintergrund der Tat befasst, wurde offenbar ähnlich kommentiert, denn die Moderatoren sahen sich (im Unterschied zu Welt online) genötigt, den thread zu schließen, nachdem sie einen Großteil der Beiträge zensieren oder gleich ganz löschen mussten.

Sicherlich sind dies die Ansichten einer radikalen Minderheit, die im Internet besonders lautstark ist. Nur stellt diese 1. – wie der Mord in Dresden deutlich gemacht hat - eine reale Bedrohung für in Deutschland lebende Muslime dar, ist 2. mit Hilfe von Steuergeldern in rechtsextremen Parteien gut organisiert und 3. als extreme Spitze des Eisbergs ein Indikator für die in der deutschen Gesellschaft weiter verbreiteten Ressentiments, die sich z.B. im Verlauf der „Kopftuchdebatte“ auch in der Mitte der Gesellschaft ganz unverhohlen gezeigt haben, wie die frühere Ausländerbeauftragte Berlins, Barbara John, darlegt. Die im Verlauf dieser Debatte gefallenen Äußerungen über das Kopftuch - nicht vom extremen Rand, sondern aus der Mitte der Gesellschaft, von politischen und kirchlichen AmtsträgerInnen und bekannten Intellektuellen - haben zu einer Atmosphäre beigetragen, in der viele meinen, ihrem Hass auf den Islam offen Ausdruck verleihen zu können. (Zum Islambild der Deutschen vgl. den bereits erwähnten, wichtigen Essay von Heiner Bielefeld.) Dass der verbalen Gewalt irgendwann die physische folgt, ist dann nur eine der Frage der Zeit.

Wo ist die Bundesregierung?

Es muss daher eine eindeutige Reaktion erfolgen und von Seiten der Politik Maßnahmen gegen Islamophobie ergriffen werden. Bis jetzt warten wir allerdings vergeblich auf das Mindeste, was man hätte erwarten können: Eine öffentliche Äußerung der Bundeskanzlerin oder des Bundesinnenministers. Bisher äußerte sich nur ein Sprecher, der noch bis zum 06.07. betonte dass, „die Umstände nicht hinreichend klar gewesen sind (!), um eine so weitreichende politische Erklärung abzugeben“ (freitag). Frau Merkel hat am Rande des Gipfels mit Mubarak, dem Staatschef Ägyptens, darüber gesprochen (offenbar waren da die Umstände klarer) – als ob es sich bei dem Mord um ein Problem der internationalen Beziehungen handele, und nicht um einen Vorfall, der die in Deutschland lebenden Muslime und die deutsche Gesellschaft insgesamt betrifft. Dazu passt, dass sich zwar der Außenminister zu Wort meldet, um gegenüber seinem ägyptischen Amtskollegen zu betonen, dass Islamophobie keinen Platz in Deutschland habe - was natürlich ein frommer Wunsch ist und keine Beschreibung der Realität, wie einschlägige Umfragen leider belegen. Der Innenminister aber – aller Islamkonferenz zum Trotz – hüllt sich in Schweigen und unterstützt lieber den Außenminister: Er hoffe, dass das deutsch-ägyptische Verhältnis durch die Tat nicht belastet werde, ließ er durch einen Sprecher ausrichten. Nun, das deutsch-ägyptische Verhältnis scheint sich durch eine vom deutschen Botschafter in Auftrag gegebene, großformatige Todesanzeige und Beileidsbekundung in der ägyptischen Tageszeitung al-Ahram wieder gebessert zu haben. Eine Adresse an die in Deutschland lebenden Muslime hingegen – Fehlanzeige. Das ist einfach beschämend. An die vier Millionen Muslime in Deutschland, die nicht nur durch den Mord, sondern auch (und vor allem!) durch die Reaktionen der Medien und der Politik verunsichert sind, ein persönliches Wort der Abscheu über diese Tat zu richten, wäre nicht nur ein Gebot der Menschlichkeit sondern auch der politischen Vernunft gewesen.

Verstörende Schlussfolgerungen

Die Tatsache, dass (bis auf wenige Ausnahmen) erst die Proteste im Ausland Reaktionen der deutschen Politik und Mainstream-Medien hervorgerufen haben, stimmt mehr als nachdenklich. Offenbar befürchtet man eine Verschlechterung der Beziehungen zwischen Deutschland und Ägypten, bzw. der islamischen Welt, die wie beim Karikaturenstreit auch wirtschaftliche Konsequenzen haben könnte (der ägyptische Apothekerverband hat zu einem einwöchigen Boykott deutscher Medikamente aufgerufen). Erst mit der Berichterstattung aus dem Ausland ließen sich die tatsächlichen Hintergründe der Tat nicht mehr herunterspielen. Man muss sich fragen, was passiert wäre, wenn es sich bei Marwa nicht um eine Bürgerin eines strategisch wichtigen arabischen Landes mit einer lebendigen Presselandschaft gehandelt hätte. Möglicherweise würden wir uns alle nur noch dunkel an einen Streit um eine Schaukel erinnern.

Ebenso bedenklich ist es, dass es erst einen Mord braucht, um Islamophobie zum Thema zu machen. Vor einigen Jahren gab es schon einmal beinahe ein Todesopfer: Eine junge Libanesin, Nasrine C., und ihre Schwiegermutter, beide Kopftuchträgerinnen, wurden im Januar 2002 in Berlin-Hellersdorf in der Straßenbahn von Nazi-Schlägern angegriffen und zusammengeschlagen. Von einer größeren Anzahl anwesender Passanten griff nur ein junger Mann und der Straßenbahnfahrer ein. Nasrine C. wurde lebensgefährlich verletzt, aber sie überlebte. Eine nachhaltige Debatte über Islamfeindlichkeit kam nicht in Gang - ob es diesmal der Fall sein wird, bleibt erst noch abzuwarten.

Mittlerweile hat in Dresden eine Trauerfeier stattgefunden an der sich 1500 Menschen, Muslime und Nichtmuslime, darunter der SPD-Parteichef Müntefering, beteiligten. Er forderte, wie auch Politiker anderer Parteien politische Konsequenzen aus dem grausamen Mord. Diesen Forderungen müssen Konzepte und ihre Umsetzung folgen, damit dem Mord an Marwa el-Sherbini nicht weitere Gewalttaten folgen.

Muslimische Reaktionen

Im Internet wurde der Mord unter Muslimen von Anfang an heftig diskutiert. Die Reaktionen, die von großer Anteilnahme geprägt sind, haben eine große Bandbreite, die vom Bemühen um sachliche Information bis zu Verschwörungstheorien reicht. Der salafitische Prediger Pierre Vogel hat am Sonntag nach der Tat ein Totengebet und eine Kundgebung in Berlin mit 2000 Teilnehmern organisiert und stieß damit in eine Lücke, die die Verbände mit ihren zum Teil verspäteten Reaktionen gelassen hatten. Das Totengebet war eine wichtige Handlung, um Marwa auch in Deutschland die letzte Ehre zu erweisen und ihrer Familie zu zeigen, dass die Muslime in Deutschland an ihrem Schicksal anteilnehmen. Sich bei dieser Gelegenheit jedoch abfällig über die "weichgespülten" muslimischen Verbände zu äußern, ist mehr als unangemessen, da der Tod Marwas auf diese Weise zur Profilierung gegenüber anderen Gruppen ausgenutzt wird.
Auch die Märtyrerverehrung, die jetzt eingesetzt hat, erscheint mir bedenklich. Sicherlich ist es richtig, dass Marwa als Märtyrerin bezeichnet werden kann, insofern ihre (sichtbare) Religionszugehörigkeit ein maßgeblicher Grund für ihre Ermordung gewesen ist. Und dafür, dass Allah sie im Paradies für ihren gewaltsamen Tod auf das Beste entschädigt, beten wir alle. Die Formulierung "Märtyrerin des Kopftuchs" finde ich hingegen höchst problematisch. Sie suggeriert, dass das Kopftuch eine im Islam so wichtige Sache wäre, dass man für sie in den Tod gehen müsste und ist damit ein Beispiel für die - nicht zuletzt durch die Kopftuchdebatte geförderte - maßlose Überbewertung des Kopftuchs unter vielen Muslimen. Und mit Sprüchen wie "Kopftuchträgerin bis zum Tod", zu finden im arabischen Internet, ist die Grenze zur Geschmacklosigkeit weit überschritten.

Was kann man jetzt konkret und sinnvoll tun?

Es gibt eine Spendenkampagne, mit der sowohl Marwas Hinterbliebene als auch die kritische Begleitung der juristischen Aufarbeitung des Mordes unterstützt werden soll.

Auf der website www.wobleibtmerkel.de werden bis zum 17.07. Unterschriften gesammelt, um Frau Merkel zu einer persönlichen Stellungnahme aufzufordern.

Auf islam.de gibt es ein Kondolenzbuch, in das man sich eintragen kann. Die Einträge werden dem Ehemann der Ermordeten übermittelt.

Vor allem stehen wir - Muslime und Nichtmuslime - vor der Aufgabe, die Gefahr der Islamophobie bewusst zu machen. Notwendig ist z.B. eine Dokumentation islamophober Übergriffe, aber auch von Diskriminierungen im Alltag und im Berufsleben aufgrund der Zugehörigkeit zum Islam. Auch die Kopftuchverbote für Lehrerinnen in verschiedenen Bundesländern und die aggressive Debatte darüber müssen vor diesem Hintergrund noch einmal angesprochen werden.

Muslime können als Einzelpersonen, Moscheen oder Gruppen lokal vor Ort über den Islam und die Muslime aufklären mit Vorträgen, Tagen der offenen Moschee, Nachbarschaftseinladungen, kommunalen Festen usw. Sie sollten Kontakte zu lokalen Politikern, Gewerkschaften, Kirchen und sonstigen gesellschaftlichen Akteuren pflegen und sich aktiv am Leben vor Ort beteiligen. Dabei müssen sie immer wieder auf konkrete Vorfälle hinweisen und sich dafür einsetzen, dass diese wahrgenommen und die notwendigen Konsequenzen gezogen werden.

Kommentare

Liebe Schwestern, kein politischer Beitrag, aber ein substanzieller im Hinblick auf grundsätzliche Fragen des unseres Daseins beim Eintreffen des Todes für die Hinterbliebenen. Wassalam Safiya DERSELBE TAG - Ein fiktiver Nachruf auf Safa 1und Kurt1 - 1. Juli 2009 Für Safa und Abdel begann dieser Tag frühmorgens gegen 2:30 h. Sie erhoben sich aus ihren Betten, als der erste Ruf zum Gebet aus ihrem Wecker kam. „Allah u akbar...“ Ja, Allah, möge dieser Tag ein segensreicher sein, ein Tag, an dem Gerechtigkeit gesprochen wird und die Sorgen dieser kleinen Familie enden könnten. Safa, die nach Adam nun wieder ein Baby erwartete, hatte sich diesen Schritt lange überlegt. Sie war sich bewusst, das zu viel Aufregung dem Ungeborenen schaden könnte. Doch nach vielen inneren Auseinandersetzungen, die sie in ihre Gebete legte, konnte es nur den erneuten Weg ins Gericht geben. Monate zuvor war sie von einer männlichen Person auf unflätigste Art und Weise beschimpft worden. Wie konnte es angehen, dass sie in diesem Land, ohne jeden Anlass als „Islamistin, Terroristin und Schlampe“ beschimpft werden konnte, dieser Mann zu einer Geldstrafe verurteilt wurde und nun weiterhin übelste Beschimpfungen gegen sie als praktizierende Muslima öffentlich von sich gab?! Safa wollte dies nun endgültig unterbinden und dies durch eine noch höhere Geldstrafe erwirken. Sie betraten am frühen Vormittag gemeinsam mit ihrem dreijährigen Sohn das Gericht. Es war schon erstaunlich, dass in den ersten Pressemitteilungen über die folgenden Ereignisse lediglich berichtet wurde, dass ein offensichtlich verwirrter Mann eine junge Frau unerwartet im Gerichtssaal niedergestochen und ermordet hat. Safa war doch eindeutig als Muslima gekleidet. Die Presse, die sich häufig allzu eifrig äußert, wenn es um die korrekte Kleidung von muslimischen Frauen geht, nämlich die Aura2 bedeckend bekleidet zu sein, schien diesmal völlig zu ignorieren zu wollen, wer hier getötet wurde. Ja, was sollten sie auch schreiben, zu tief sitzt die Angst, Teile der Leserschaft zu verlieren, wenn nun jemand verteidigt werden soll, der einer Gemeinschaft angehört, die sonst ihrer subtilen Vorverurteilungen ausgeliefert ist. Was unterscheidet den Mörder, der nun mit 18 Messerstichen Safa in fanatischer Wut erstach, von der Presse? Ja, was ist der Unterschied? Jahrelang haben sie diesen Irren, wie sie ihn nun bezeichnen, mit ihrer Hetzte und Unwahrheiten gegen alles, was anders zu sein scheint, nämlich islamisch, auf diesen Tag vorbereitet. Und er war offen, dieses Gift zu verinnerlichen und vergiftet genug, um zum Mörder zu werden. Jetzt, wo Respekt für die Religion dieser jungen Frau angebracht gewesen wäre, die eine gläubige Muslima war, ignorierte die Presse feige diesen Umstand und ließ wieder einmal die Notwendigkeit einer objektiven Darstellung verstreichen. Safa starb für ihre Religion und nicht weil es hier nur um eine belanglose Auseinandersetzung ging, die gerichtlich geklärt werden sollte. Abdel, der in Panik in den Kampf eingriff, selbst schwer verletzt wurde, verlor seine Frau, Adam seine Mutter und das ungeborene Geschwister. Gehen wir zu dem anderen Ereignis, desselben Tages: Kurt1, der Bruder meines Schwagers war 66 Jahre und inzwischen Pensionär. Endlich Zeit für Hobbys, endlich einmal losfahren und noch schöne Dinge machen und genießen. Herrlich, mit dem Mercedes über die Straßen zu flitzen, fast ein wenig, wie in der Jugendzeit, aber wesentlich komfortabler. Es könnte nicht schöner sein. So, nun ab ins Leben! Die Kinder sind groß, die Frau auch bald auch in Rente. Nun konnte er schon einmal ohne sie erleben, wie sich Freiheit anfühlt. Mit seinem Flitzer, flog er geradezu über die Autobahn. Kilometer um Kilometer schwebte er mit dem sicheren Gefährt, vorbei an der Landschaft, die er lediglich als Kulisse wahrnahm. Wie herrlich, gleich wird er in Bremen sein! „Spitzenzeit für diese Strecke“, dachte er gerade bei sich. Die Autobahn war schön leer gewesen, sonst hätte er natürlich nicht so aufs Gaspedal gedrückt. Kurt war immer verantwortungsvoll, niemals hätte er aus Übermut ein Unglück heraufbeschworen. Das war eines seiner Lebensprinzipien. Aber heute Abend gab es keinen Grund zur übermäßigen Vorsicht, die Sicht war gut, die linke Fahrspur fast immer frei, also, ab geht die Post! Das sichere Fahrgefühl blieb auch, als er wahrnahm, wie sich in weiter Ferne ein Lastzug vom Parkplatz kommend begann, einzufädeln und ihm ein nachfolgender Lkw Platz machte und auf die linke Fahrspur wechselte. Doch schon in dem allernächsten Moment wurde ihm gewahr, dass er nicht mehr ausweichen konnte. „Oh Gott, nein“, ein Ausweichen, nur noch ausweichen, von links irgendwie rüber, rüber, rüber, rüüüüüüüüüüber auf die rechte Fahrspur! Kurt´s Auto schob sich mit der Fahrerseite tief ins rechte Heck des Hängers so weit in diesen hinein, dass der Mercedes noch mehrere hundert Meter von dem Hänger mitgeschleift wurde. Als ich das Foto vom Unglücksauto sah, schien es, als wäre es rechts völlig heile. Doch an der Motorhaube, die beim Aufprall hoch geschoben wurde, war zu erkennen, dass die Fahrerseite komplett fehlte, genau da, wo Kurt gerade noch gesessen hatte. Aline, Kurt´s Frau wurde nachts von der Polizei über den Tod ihres Mannes informiert. Wie oft fragte sie sich, warum. Warum? Warum? Warum nur? Sie fühlte, als hätte sie selbst am Steuer des Wagens gesessen und hätte all das gesehen und gespürt, was Kurt gespürt hat in seinen allerletzten Lebenssekunden. Wie unerträglich, als sie sich genau dort hinein fühlt, als wäre sie es, die das Unausweichliche abwenden will.Kurt, Kurt! Er ist nicht mehr da. Auch Safa ist nicht mehr da. Es zerreißt Aline. Sie weiß nicht, wie sehr auch Abdel am selben Tag leidet. Er, der den Todeskampf seiner Frau wirklich und und nahe miterleben musste, und sie am Ende verlor. Werden beide ihr Schicksal annehmen können? Werden beide mit denselben Gedanken an das „Warum passierte es, wofür haben Safa und Kurt gelebt, wo ist die Seele meines geliebten Mannes, meiner geliebten Frau jetzt“, zu denselben Antworten kommen? Erwarten sie Antworten? Können diese helfen, ihr Leben ohne den geliebten Partner irgendwann einmal wieder in Hoffnung weiterzuleben? Ich denke, sie kommen nach einer sehr, sehr schweren Zeit der Trauer beide zu Antworten. Dennoch werden sie sich unterscheiden, und zwar wie ich vermute in der Form, dass Abdel auch vor dem Eintreten dieses schweren Schicksals wusste, welche Antworten es in seiner Religion gibt, und dass es Antworten gibt. Er weiß, es gibt im Islam keine Lebenssituation, die den Muslimen nicht erklärt wird und deren Eintreffen als ein vom Schöpfer sinngerechter Umstand vorherbestimmt ist. Das heißt nicht, dass wir die Ereignisse und Schicksalsschläge immer verstehen können. Es heißt aber, wir dieses Leben sündenfrei verlassen können, wenn wir unser Schicksal annehmen. Damit ist natürlich nicht gemeint, alles Schwere im Leben hinzunehmen. Auch dies wird im Islam klar zum Ausdruck gebracht. Es bedeutet aber, sich seiner Grenzen als Mensch bewusst zu werden und anzuerkennen, dass es auch Grenzen im Begreifen des hiesigen Lebens gibt. Abdel kann daher bei all seinem unerträglichen Schmerz die Gewissheit haben, dass Safa´s Tod letztendlich bei unserem Schöpfer einen Sinn hat und sie für die unermesslichen Qualen in ihren letzten Lebensmomenten belohnt werden wird. Welche Antworten wird Aline finden? Ich komme ursprünglich aus derselben religiösen Tradition wie sie. Ich fand dort nie Antworten, die ich seriös verstehen kann, die mir das Leben und seine Sinn in kompletter logischer Übereinstimmung erklären, die ich mit dem Verstand begreifen und auch tatsächlich leben kann. Ich hoffe und wünsche für Aline Folgendes: Möge dieser unfassbare Tod ihres geliebten Mannes Kurt sie dahin führen, nach seriösen Antworten über den Sinn und das Sein unseres Daseins zu suchen und diese zu finden. Möge sie hierbei recht geleitet werden und bleiben. Amin Ich hoffe für Abdel Folgendes: Möge er über den unsäglichen Schmerz, Safa in dieser Welt verloren zu haben, die Gewissheit behalten, dass er sie im Paradies wiedersehen wird. Amin. Schwester Safiya

Fußnote zum fiktiven Nachruf von Schwester Safiya

Alle hier aufgeführten Namen wurden aus Respekt für die Familien geändert. Beide Berichte, die in fiktiver Form beschrieben sind, ereigneten sich am 1. Juli 2009. Safa starb im Gerichtssaal in Dresden vormittags, Kurt auf der Autobahn A27 am Abend desselben Tages.

@ Helmuth Kellner:

In Erwiderung zu:

Was haben Sie und Ihre Freunde veröffentlicht, als im Jemen 3 Frauen, die sich uneigennützig für die Armen der Ärmsten als Krankenschwesten eingesetzt haben und dann entsetzlich ermordet wurden eingesetzt?

Dies ist ein thematisch orientierter Blog, wir schreiben nicht zu jedem Thema in dieser Welt, sondern zu einem ganz bestimmten. Das können Sie in der Rubrik "Über uns" nachlesen. Von daher ist es sinnlos und hier ein willentliches Verschweigen zu unterstellen.

Wurde im Jemen, Ägypten und im Iran auf der ersten Seite der Zeitungen große Artikel für die Opfer veröffentlicht, wo waren die Botschafter dieser Länder. Vielleicht sehen sie dies einfach zu einseitig.

Vielleicht ist es aber auch nur so, dass Sie einseitig informiert sind. Stichwort: "Blick über den Tellerrand."

Es würde mich freuen, wenn in den Moselemstaaten einen ähnliche Religionsfreiheit herrechen würde, wie im EU Europa, denken Sie mal darüber nach.

Ich weiß zwar nicht, was sie mit "Moselemstaaten" meinen, aber pauschal können wir sagen, dass uns das auch freuen würde. Deswegen setzen wir uns ja auch in unserem Fall dafür ein, dass Religionsfreiheit in unserem Land (--> nur zur Info: das ist die BRD) auch für uns uneingeschränkt lebbar ist. Was das nun mit dem Mord an Marwa el-Sherbiny und dem Artikel von Frau Horsch zu tun hat, müssen Sie uns allerdings erklären.

Wenn vor laufender Kamera in Afghanistan Krankenschwestern und Entwicklungshelfern die Kehle durchgeschnitten wird, die ist wahrer Staatsterror, bei uns ist die nicht üblich, also runterschalten und das Hirn einschschalten, liebe Moslemfreunde.

Wie, Herr Kellner, sollen wir Sie jetzt dahingehend verstehen, dass eine Kritik an der Medienberichterstattung und dem politischen Umgang mit bestehender Islamfeindlichkeit in der BRD nicht mehr ausgeübt werden darf, weil andere Länder dies nicht zulassen würden? Ich zweifele erheblich an Ihrem Rechtsverständnis!

Salam u aleikum,
Ich fand die Kundgebung in Berlin für sehr sinnvoll, denn so erfuhren Leute von diesem Verbrechen, die sie in den hiesigen Medien (TV, Hörfunk und Zeitungen) nicht erfuhren. Den Mainstream-Medien passt dies wie gesagt nicht ins Raster, das plötzlich eine Muslima (mit Kopftuch) Opfer eines Verbrechens wurde und der Täter selbst nicht Muslim ist und deshalb hat man dies nicht kommuniziert. Und was die Schwester Soumeyya gesagt hat mit: "Herr Vogel hat sich deshalb über gewisse Kaffeevereine kritisierend geäußert" mit dem Verweis "gewisse Kaffeevereine" kann ich Ihr nur ausdrücklich zustimmen, weil bei vielen Vereinen (besonders bei Ditib, nicht alle aber viele) die Moschee fast nur als Kaffeestube genutzt wird und nicht über den Islam aufzuklären (Dawa). Wieviele "muslimische" Jugendliche hängen auf der Straße rum und praktizieren ihre Religion nicht, denn dies hat alles auch eine Ursache. Pierre Vogel tut wenigstens was, er organisiert Kundgebungen im Andenken für unsere geliebte Schwester Marwa (rahimallah) und kommuniziert dies auch weiter, was die meisten Verbände nicht getan haben!!! Oua salam ou aleikum

Im Prinzip bin ich Silvias Meinung und finde Kundgebungen nicht unbedingt zielführend in dieser Sache. Allerdings kann es was bringen, wenn sich unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen zusammentun. Islamophobie ist ja zunächst einmal ein gesamtgesellschaftliches Problem, geht also alle an (so wie Rassismus im Allgemeinen). So finde ich es z.B. ganz sinnvoll, dass in Erlangen diesen Freitag die katholische Erwachsenenbildung, der Friedensweg der Religionen, wozu alle Religionsgemeinschaften der Stadt gehören, und der Ausländerbereit Erlangen gemeinsam zu einer Kundgebung aufrufen in dieser Sache. Ich denke durch solche Aktionen erreicht man potentiell mehr Menschen, auch wenn es jetzt nicht so schnell ging.

@ Helmuth, schön, dass Sie nochmal vorbei geschaut haben (mein ich ernst).

Dass Muslime hier in Deutschland Moscheen bauen dürfen liegt nunmal an der geltenden Religionsfreiheit. Ich kann zwar ihre Kritik an muslimischen Staaten teilweise nachvollziehen – teilweise deshalb, weil der Umgang mit religiösen Minderheiten durchaus unterschiedlich erfolgt in diesen Staaten – verstehe aber nicht, warum man aus diesem Grund Religionsfreiheit in Deutschland einschränken sollte. Erklären Sie mir doch bitte diesen Zusammenhang, ich kann das absolut nicht nachvollziehen.

Zur Islamfeindlichkeit: Sie haben Recht, dieser Mordfall ist die Tat eines Einzelnen. Aber nie hat hier jemand etwas anderes behauptet. Allerdings lebt der Täter – so wie wir alle – in einer bestimmten Atmosphäre, die ein Feindbild "muslimische Frau" erst möglich gemacht hat. Beschimpft, bespuckt oder sogar körperlich angegriffen zu werden sind eben keine absoluten Ausnahmen im Alltag vieler muslimischer Frauen. Das heißt nicht, dass es immer vorkommt und auch nicht, dass es jeder Frau so geht. Man lebt nur damit, Silvia Horsch hat ja ein paar persönliche Erlebnisse selbst geschildert. Und genau das ist es, was wir hier thematisieren.

In vielen Medien, und so auch in diesem Thread, ist allenthalben von „Islamophobie“ die Rede, ohne daß dieser Begriff näher definiert würde. Es erscheint mir daher etwas zweifelhaft, der Mehrheit der Deutschen zu unterstellen, sie hätten eine generell ablehnende Haltung gegenüber dem Islam (womöglich sogar gegenüber allen Muslimen), und sie würden sich dabei nur von Vorurteilen und medialer Hetze leiten lassen. Sicherlich gibt es solche Attitüden (der Täter von Dresden war vielleicht derart „islamophob“ --- vielleicht aber auch einfach nur generell „alterphob“, d.h. alles ablehnend, was irgendwie „anders“ ist), und sicherlich ist die Rolle der Medien nicht zu unterschätzen.

Ich glaube aber, daß die meisten Deutschen sehr wohl differenzieren können zwischen problematischen Erscheinungsformen des Islam (Terror, Ehrenmorde, Zwangsheirat usw.), und der Religion an sich. Man weiß ja andererseits, daß die meisten Muslime diese Dinge ebenfalls ablehnen --- somit kann die Religion an sich nicht „böse“ sein.

Was sicherlich weit verbreitet ist, ist ein ziemliches Unverständnis gegenüber einer strengen, traditionellen Auslegung von Religion, die mit der herrschenden westlich-säkularen Lebensweise kontrastiert. Da schüttelt man dann schon mal den Kopf über Kopftuch, Alkoholverbot u.a.m. --- das würde ich dann aber nicht als „Islamophobie“ bezeichnen.

Was es schon eher gibt, ist eine Art „Kopftuch-Phobie“, d.h. dem Kopftuch wird eine Bedeutung zugeschrieben, die es in Wirklichkeit vielleicht gar nicht hat (wie ja auch schon geschrieben wurde). Das ist aber m.E. erklärbar: Zum einen ist die Gleichsetzung des Kopftuches mit Rückständigkeit und Unterdrückung der Frau keine deutsche Erfindung, sondern wurde m.W. zuerst von Atatürk so postuliert. (Daß diese Meinung dann speziell in Deutschland so viel Anklang fand, mag damit zu tun haben, daß die meisten Muslime hierzulande einen türkischen Hintergrund haben).

Zum anderen würde ich die Politisierung des Tuches (als Symbol für einen fundamentalistischen Islam, der bewußt anti-westlich sein will) maßgeblich auf die Iranische Revolution 1979 zurückführen, die für den Westen ein regelrechter Schock war, der bis heute nachwirkt --- und eines der Hauptsymbole der Revolution war nun mal der Schleier. (Taliban, Al-Kaida & Co. taten dann noch ein übriges.)

Ein ganz reales „Kopftuch-Problem“ (d.h. jenseits aller Interpretation und Symbolik) ist allerdings die Tatsache, daß nicht wenige Mädchen und Frauen das Kopftuch freiwillig nicht tragen würden, aber von ihrem familiären und sozialen Umfeld dazu gezwungen werden. So etwas ist nicht akzeptabel. Wenn eine Frau hingegen freiwillig Kopftuch trägt, dann muß man das nicht gut finden, sollte es aber akzeptieren. (Und verbale oder gar körperliche Angriffe sind sowieso immer ein Unding.)

Und noch ein Wort zur deutschen Geschichte, die ja hier ebenfalls angesprochen wurde: Ich würde sagen, daß es in Deutschland auf Grund der Erfahrungen (zum einen zwei an zu wenig „Wehrhaftigkeit“ gescheiterte Demokratieversuche 1848 und 1919-33; zum anderen zwei Diktaturen, insbes. das „Dritte Reich“) im heutigen Deutschland gelegentlich eine Art „Übervorsicht“ gegenüber möglichen Gefährdungen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gibt („Wehret den Anfängen!“) --- da wird dann auch schon mal übers Ziel hinausgeschossen, indem z.B. eine Frau mit Kopftuch als „Gefahr“ empfunden wird. Hier gilt, wie so oft, daß manchen Leuten ein bißchen mehr Gelassenheit guttäte --- und das Vertrauen in das Funktionieren unserer politischen und juristischen Institutionen, die ja auch im Dresdner Fall im Prinzip funktioniert haben.

@ Sonny, ich muss jetzt auch nochmal kurz meinen Senf dazu geben.

Die Abwertung des "Schleiers" als Teil einer rückständigen islamischer Kultur ist schon viel länger Teil des westlichen Diskurses über "die Muslime", als von dir vermutet. Atatürk hat dieses westliche Erbe nur übernommen. Die Unterdrückung der muslimischen Frau ist schon seit Kolonialzeiten ein moralisches Kernargument für Invasion und Kolonialisierung des mittleren Osten gewesen. Der Schleier ist dafür geradezu als Symbol auserkoren worden. Das ist in der Literatur dazu auch relativ gut belegt und bis in das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts hatte sich diese Vorstellung auch schon soweit durchgesetzt, so dass ein Teil der einheimischen westlich-orientierten Eliten diese Sicht bereits übernommen hatte. Der moderne Trend zur Zwangsverschleierung in manchen islamischen Staaten (nicht allen, in vielen Staaten erfolgte die neue Welle der Verschleierung gänzlich ohne staatliches Zutun, oft sogar gegen staatliche Zwänge) ist auch nicht zu verstehen, ohne die teils gewalttätigen "Entschleierungen" durch Kolonialmächte oder durch Herrscher von ihren Gnaden ein halbes Jahrhundert vorher (siehe Iran oder Algerien).

Dieser Diskurs über den Schleier hat also eine Geschichte, die vom Ursprung her westlich ist und nicht importiert wurde. Genau genommen ist er zuerst von westlichen Kolonialmächten zu einem politischen Symbol hoch stilisiert worden – im Sinne eines Anzeiger für gelungene Fortschrittlichkeit oder eben der viel besagten Rückständigkeit. Wir schreiben bestimmt mal was dazu auf diesen Seiten, wenn es unsere Zeit zulässt. Wenn es dich interessiert kann ich dir das Buch "Rethinking Muslim Women and the Veil" von Katherine Bullock empfehlen.

@ Nina

Vielleicht hatte ich mich da auch nicht ganz klar ausgedrückt: Ich bestreite nicht, daß es eine pauschale, undifferenzierte Ablehnung „des Islam“ gibt, und dafür kommt dann auch der Begriff „Islamophobie“ bzw. „Islamfeindlichkeit“ in Frage. (Rassismus ist dagegen m.E. etwas anderes, wenngleich er bisweilen mit Islamophobie zusammentreffen dürfte.) Die Definition der englischen Organisation klingt brauchbar; ergänzen würde ich noch so etwas wie: „Vorschnelles Herstellen von Zusammenhängen zwischen bestimmten Problemen und dem Islam bzw. dem islamischen Hintergrund der betr. Menschen.“

Mir kommt es aber ungerechtfertigt vor, eine solche Haltung einer derart großen Zahl von Deutschen zu attestieren. Die Heitmeyer-Studie arbeitet ja nach der Methode, bestimmte Fragen oder Behauptungen in den Raum zu stellen, die man dann pauschal entweder bejahen oder verneinen soll --- und je nachdem wird eine bestimmte Antwort (bzw. alle Antworten zusammen) dann als „islamophob“ interpretiert oder nicht. Das ist mir dann doch etwas zu undifferenziert, bzw. ich würde geltend machen, daß man in vielen Fällen eben NICHT einfach „ja“ oder „nein“ sagen kann. Somit würde ich die festgestellten 27 Prozent vor diesem Hintergrund etwas anzweifeln, wenngleich ich die Anzahl der wirklichen Islamfeinde auch nicht kleinreden will.

Und ein „pessimistischer Kritiker“ ist ja durchaus nichts Negatives. Aber auch hier wieder dieselbe Kritik: Inwiefern soll „der Islam mit den Standards europäischer Gesellschaften unvereinbar“ sein? Wenn sich das auf die Frage der Vereinbarkeit eines islamistischen Gottesstaates (wie in Iran) mit europäischen Standards bezieht, dann ist das sicher so --- wenn es darum geht, ob Muslime in einer europäischen Gesellschaft leben und dort ihre Religion praktizieren können, dann sicherlich nicht. Somit würde ich auch hier wieder die Prozentzahl nicht auf die Goldwaage legen.

Sagen wir es so: Es gibt in Deutschland Islamophobie; nur ist halt die Frage, was man darunter genau definiert --- und dementsprechend , wie verbreitet dieses Phänomen ist.

Daß offene Feindseligkeiten gegenüber Muslimen nicht akzeptabel (bzw. ebenfalls „nicht mit europäischen Standards vereinbar“) sind, steht außer Frage.

-----

@ Silvia

Die Definition von Bielefeldt ist so weit nachvollziehbar, die ermittelten Umfrageergebnisse erstaunen mich aber auch hier.

Nun ja, vielleicht habe ich das Ausmaß der Islamophobie (bzw. der Vorstufen dazu) bislang auch einfach unterschätzt bzw. nicht wahrgenommen. Ich bekomme das natürlich auch nicht am eigenen Leib zu spüren, sondern allenfalls mal in Gesprächen oder Diskussionen mit. Wenn ich in so einem Fall feststelle, daß jemand in diese Richtung argumentiert oder polemisiert, dann fühle ich ihm nach Möglichkeit auf den Zahn und versuche, eine Differenzierung herzustellen, was sehr oft zumindest teilweise gelingt --- und so jemanden würde ich dann nicht mehr unbedingt als islamophob bezeichnen (insbes. dann nicht, wenn ich ihn näher kenne). Ich sehe aber natürlich ein, daß Meinungsforscher eine solche ausführlichere Befragung oft nicht vornehmen können.

Den gesamten Essay von Bielefeldt (der beim ersten „Querlesen“ einen recht ansprechenden Eindruck macht) habe ich mal ausgedruckt und werde ihn mir bei Gelegenheit durchlesen.

Aber unabhängig davon, wie man jetzt genau „Islamophobie“ definiert und wie vielen Deutschen man sie dann bescheinigt, stellt sich die Frage, ob nach dem Mord von Dresden eine breite öffentliche, mediale und politische Diskussion zustande kommen wird. Ich habe eher nicht den Eindruck. Letztendlich fürchte ich, daß das Thema wieder den Gesetzen der Medien und der Politik zum Opfer fallen wird: Viele Medien schreiben eben lieber das, wovon sie meinen, daß es eine möglichst hohe Auflage bzw. Quote bringt; und in der Politik spielt natürlich der Bundestagswahlkampf eine Rolle --- aber auch hier will ich nicht zu weit abschweifen.

Für den Moment bedanke ich mich für die Konversation und wünsche eine gute Nacht (gehabt zu haben) :-)

@ Kathrin

Da kennst du dich sicher weit besser aus als ich. Es stimmt wohl, daß der Schleier auch lange vor Atatürks Zeiten im Westen in gewisser Weise „stigmatisiert“ wurde (etwa von den frz. Kolonialtruppen in Nordafrika). Ich hatte das aber immer so aufgefaßt, daß man ihn eher als „exotisch“ ansehen würde, aber nicht als rückständig oder unterdrückend. (Denn von Gleichberechtigung der Frauen konnte damals ja auch in Europa noch keine Rede sein --- und auch christliche Frauen trugen oft Kopftuch, wenn sie sich keine Hüte leisten konnten.) Der Islam an sich hatte ja seinerzeit in Europa kein durchweg negatives Image, vgl. etwa die „Tabakmoschee“ , zufälligerweise auch in Dresden. Aber gut, da mag ich mich täuschen.

Doch gab es vor Atatürk schon einheimische (d.h. nicht-koloniale) Politiker in islamischen Ländern, die das Schleiertragen verboten bzw. eingeschränkt haben? Daß es danach mehrere gab, etwa Reza Khan in Persien bzw. Iran, ist mir bekannt --- ebenso wie die Tatsache, daß die später erfolgte „Wiederverschleierung“ in Iran und anderswo in gewisser Weise als Gegenbewegung dazu zu sehen ist.

Aber o.k., wenn ihr irgendwann mal was darüber bringen wollt, dann will ich das hier nicht weiter vertiefen.

Kompliment übrigens für eure Seite, sie ist informativ und gut gemacht :-)

Salam u aleikum Schwester Kathrin,
sag mal, wiedersprichst du dich im folgenden Punkt nicht? Deine Zitate: "Im Prinzip bin ich Silvias Meinung und finde Kundgebungen nicht unbedingt zielführend in dieser Sache".
"...die katholische Erwachsenenbildung, der Friedensweg der Religionen, wozu alle Religionsgemeinschaften der Stadt gehören, und der Ausländerbereit Erlangen gemeinsam zu einer Kundgebung aufrufen in dieser Sache. Ich denke durch solche Aktionen erreicht man potentiell mehr Menschen, auch wenn es jetzt nicht so schnell ging".

Die Organisatoren der Kundgebungen die ich erwähnte machen dies auch nicht alleine, sie arbeiten mit Linken Gruppen zusammen. Und der Prophet Mohammed (friede sei mit ihm) sprach auch ÖFFENTLICH zu den Menschen. Und ich finde es ist besser man tut irgend was (wie Kundgebungen abhalten bspw.) als das man gar nichts tut (wie die sogenannten Vertreter der Muslime, die Verbände).

Wa alaykum assalam, Bruder Mohamed,

ich sehe da keinen Widerspruch, ich habe ja nur die prinzipielle Ablehnung von Kundgebungen relativiert. Ich denke auch, dass wir mit der Einstellung "Besser als nichts tun" nicht viel weiter kommen – zumal ja auch die viel gescholtenen Verbände Kundgebungen organisiert haben, also aus deiner Sicht "etwas getan" haben. Ich will jetzt nicht übermäßig Verbände verteidigen (ich habe selber viel Kritik anzubringen), aber der ZMD z.B. hat es mit seiner frühen Zusammenarbeit mit dem ZDJ immerhin geschafft, dass sich Medien und Politik zumindest gerührt haben.

Aber worum geht es eigentlich? Ich persönlich denke, dass der Mord an Marwa "nur" ein Extrem der schon seit Jahren verstärkt vorkommenden Islamophobie ist. Wir haben in der Vergangenheit und werden auch ganz sicher in Zukunft noch unter Benachteiligungen im öffentlichen Leben, Diskriminierung im Beruf, Moscheedurchsuchungen, gewalttätigen Übergriffen auf Einrichtungen und Menschen zu leiden haben. Dies ist kein fatalistisches sich fügen, sondern m.M.n. eine realistische Einschätzung. Klar, man will am liebsten, dass endlich mal aufhört mit dieser Stimmung, aber das passiert sicherlich nicht sofort. Unsere Energien sollten sich also auf die dauerhafte und kontinuierliche Bekämpfung der Islamophobie konzentrieren. Dazu gehören Kundgebungen (mit 300 Leuten max.) aber nun mal nicht, sondern viel mehr Kleinstarbeit. Von unserer – also muslimischer – Seite muss vor allen Dingen auf die Lage aufmerksam gemacht werden. Denn die meisten Nichtmuslime können sich überhaupt gar kein Bild über Vorkommen und Ausmaß von Islamophobie machen. Sie kriegen es einfach nicht mit. Aufmerksam macht man dadurch indem man Fälle von Diskriminierung, Beleidigung und Übergriffen (nicht nur von Einzelpersonen, sondern auch von Arbeitgebern, öffentlichen Einrichtungen und der Polizei) zur Anzeige bringt, sie peinlich genau und seriös nachvollziehbar dokumentiert und in die Öffentlichkeit bringt; man hält Kontakt zu lokalen Politikern und Journalisten; man schreibt sachliche Leserbriefe; man konsultiert Anti-Diskriminierungsbüros usw.

Tut mir leid Schwester Kathrin, aber in dem Punkt kommen wir nicht zusammen. Denn das Kundgebungen sinnvoll sind, hat die Geschichte gezeigt (Solidarnos in Polen oder die Kundgebungen in der DDR, die dann den Untergang dieses Staates einleitete). Und nur Allah weiß, wieviele Menschen zu diesen Veranstaltungen kommen und das zurzeit vielleicht nicht viele kommen hat bestimmt auch mit den Ferien zu tun da viele verreist sind. Und ich hab auch nicht alle Verbände kritisiert, denn der Zentalrat der Muslime mit seinem Generalsekretär Aiman Mazyek leistet hier gute Arbeit und tut was (wenigstens einer). Und Kundgebungen sind auch nur ein Anfang. Es werden auch in verschiedenen Städten Infostände errichtet, die über den Islam aufklären und es gibt auch Muslime die Leserbriefe verfassen. Oua salam ou aleikum Schwester

@Noor: Herzlich willkommen hier. Ich habe leider nicht ganz verstanden, was du mit "international verkalgt" meinst? Könntest du das ausführen.

Zu den Kundgebungen: Wir hatten eigentlich unsere Kritikpunkte an den Kundgebungen dargelegt, ich halte diese weiter aufrecht. Man muss ja nicht derselben Meinung sein.

Der Thread ist offenbar doch noch nicht am Ende --- und da z.T. auch auf meine Beiträge eingegangen wurde, möchte ich auch noch etwas schreiben.

Kundgebungen: Halte ich, wie auch die Betreiberinnen dieser Seite, für eher kontraproduktiv, insbes. wenn äußerst fragwürdige Gestalten wie Pierre Vogel dort auftreten. Sicherlich geht davon eine eindeutige Botschaft auf Passanten und Öffentlichkeit aus --- doch sicher keine positive...

Kopftuch: Wurde in der Tat bis vor nicht allzu langer Zeit auch noch von christlichen Frauen getragen (wenn sie sich denn keinen Hut leisten konnten). Zumindest aber trugen sie ihre Haare gebunden, denn offene Haare galten als Zeichen von Verführung und sexueller Bereitschaft. Heute jedoch empfindet niemand mehr derartige Assoziationen, und somit hat sich dieses Thema schlicht erledigt. (Man könnte dies als zivilisatorischen Fortschritt bezeichnen, oder auch einfach als ganz normalen Lauf der Dinge.) Auch viele muslimische Frauen tragen ja aus ähnlicher Motivation kein Kopftuch (mehr). Allerdings will ich hier keine neue Kopftuchdiskussion aufmachen --- jede Frau (ob muslimisch oder nicht) sollte das so handhaben, wie sie möchte, und jeder andere sollte das dann akzeptieren.

Noch ein paar Worte zur betr. Bibelstelle (1. Kor 11, 5): Dies wird von Muslimen immer wieder als Beleg dafür angeführt, daß auch Christinnen zumindest in der Kirche ihr Haar bedecken sollten, und in der Tat ist diese Aussage des Apostels Paulus auch eindeutig so zu interpretieren. Nur muß man sie eben im zeithistorischen Kontext sehen: Zu Paulus’ Zeit war dies noch eine völlig normale Gepflogenheit, eben wegen der symbolischen Bedeutung des Frauenhaares (s.o.), und auch noch viel später (sagen wir um 1900) hatte sich daran nicht viel geändert. In der heutigen Zeit ist diese Vorstellung aber völlig in den Hintergrund getreten, und entsprechend hat sich auch die Empfehlung des Apostels überlebt. (Nicht einmal Pfarrerinnen tragen ja eine Kopfbedeckung.)

Zur Veranschaulichung, wie sehr Paulus hier von seiner Zeit geprägt war, genügt ein Blick in den folgenden Vers 6: Hier empfiehlt er (nicht ganz ernstgemeint), alternativ könne eine Frau ja ihre Haare abschneiden, was jedoch einer Schande gleichkäme --- auch dies wird ja heute völlig anders gesehen.

Ich gehe öfter in die Kirche, und dort sehe ich verhältnismäßig viele ältere Frauen, die oft auch noch sehr traditionell („züchtig“) gekleidet sind --- ein Kopftuch trug aber bisher keine. Wenn man das Apostelwort zeitgemäß interpretieren will, dann dergestalt, daß man sich in der Kirche nicht allzu freizügig oder ungepflegt kleiden sollte --- eben nach den heutigen Vorstellungen von angemessener Kleidung.

Moslemstaat: I.e.S. ein Staat, in dem der Islam Staatsreligion ist. (Und das ist in vielen Staaten der Fall --- z.B. auch in recht säkularen Staaten wie Tunesien.) I.w.S. ein Staat mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung.

Problem mit Moscheen/Minderwertigkeitskomplex: In der Tat fällt auf, daß andere Religionen i.d.R. recht positiv oder zumindest neutral gesehen werden, mit Ausnahme des Islam. Dafür gibt es viele Gründe, und sicherlich ist das so auch nicht gerechtfertigt, d.h. die westliche Welt sollte sich um mehr Differenzierung bemühen. Von einem Minderwertigkeitskomplex des Westens würde ich aber nicht sprechen --- eher im Gegenteil von einem Überlegenheitsgefühl (Arroganz).

Atatürk (den hatte ich ja ins Spiel gebracht): Er war sicherlich nicht der Begründer der These vom rückständigen Islam. Aber ich bleibe dabei: Er war wohl der bedeutendste (und letztlich erfolgreichste) Umsetzer einer entsprechenden Politik --- und deshalb ist er bis heute (nicht nur in der Türkei) das Synonym dafür.

Deutschland international verklagt: Hier kann ich mich der Frage von Kathrin nur anschließen: Was ist damit gemeint?

Merkel/Schumacher: Verglichen mit ihrem Vorgänger (oder mit ihrem italienischen Amtskollegen) äußert sich die Bundeskanzlerin doch eher selten zu unpolitischen (speziell sportlichen) Themen. Wenn sie es aber dennoch einmal tut (noch dazu in einem Fall, der wirklich viele Menschen in diesem Lande bewegt), dann sollte man ihr das nicht übelnehmen --- anders als die genannten anderen Politiker habe ich bei ihr nicht den Eindruck, daß sie damit von ihrem eigentlichen Metier ablenken will.

Ohnehin verstehe ich die Kritik an Frau Merkel nicht so ganz, sie habe sich nicht ausreichend zum Dresdner Mordfall geäußert. Was hätte sie denn sagen sollen? Der mutmaßliche Täter ist bekannt, um ihn kümmert sich die Justiz (da hat politische Einmischung zu unterbleiben) --- und davon ab finde ich es (auch im Interesse der Hinterbliebenen der Getöteten) sinnvoll, wenn dieser Fall nicht allzu sehr politisch thematisiert wird. Auch hier hebt sich die Kanzlerin wohltuend von ihrem Vorgänger ab, der vergleichbare Fälle nur allzu gern instrumentalisierte, zum „Aufstand der Anständigen“ aufrief, u.a.m. --- nach dieser unguten Mischung aus hektischem Aktionismus und scheinheiligem Populismus sehne ich mich nicht im geringsten zurück.

@sony:

Ohnehin verstehe ich die Kritik an Frau Merkel nicht so ganz, sie habe sich nicht ausreichend zum Dresdner Mordfall geäußert. Was hätte sie denn sagen sollen?

Frau Merkel hat sich gegenüber Hosni Mubarak geäußert, da sie das ganze als ein Problem internationaler Beziehungen aufgefasst hat. Beschwichtigung war als ein ausreichendes Motiv sich dazu zu äußern. Der Mord hat sehr viele Muslime in diesem Land bewegt und verängstigt. Frau Merkel hat das trotz mehrfacher Hinweise nicht ernst genommen, nicht wichtig gefunden oder gar für übertrieben gehalten. Wir wissen es nicht. Diese Nicht-Reaktion hat nun das Gefühl von Muslimen in Deutschland verstärkt nicht wirklich für voll genommen zu werden.

Ja, die Äußerung ggü. Mubarak war notwendig, um die Beziehungen zu Ägypten nicht zu belasten.

Daß der Dresdner Mordfall viele Muslime in Deutschland beschäftigt, ist klar. Aber warum soll sich die Bundeskanzlerin dazu äußern? Bzw. was sollte sie denn sagen?

Aber warum soll sich die Bundeskanzlerin dazu äußern?

Z.B. Um die Beziehung zu Muslimen in D. nicht noch mehr als ohnehin schon zu belasten?

Bzw. was sollte sie denn sagen?

Dass man die ansteigenden anti-islamischen Ressentiments wahrnimmt und gedenkt etwas dagegen zu tun.

Salam u aleikum,

ja, ich bin's mal wieder :-) Ich hab mich nur hier wieder reingehängt wegen dir, Sonny. Es geht um dein Zitat: "Kundgebungen: Halte ich, wie auch die Betreiberinnen dieser Seite, für eher kontraproduktiv, insbes. wenn äußerst fragwürdige Gestalten wie Pierre Vogel dort auftreten."

Meine Frage an dich Sonny: Was findest du an Pierre Vogel äußerst fragwürdig???

PS: Meine liebe Schwester Kathrin, auch wenn wir vielleicht in unterschiedlichen Punkten verschiedener Meinung sind (z. B. Kundgebungen) bin ich auf deiner Seite was Frau Merkel angeht. Sie hätte sich zum Mord an Marwa (rahimallah) an die hier größte lebende Minderheit äußern müssen und sagen sollen das für Islamophobie kein Platz in diesem Land ist!!!

Neuen Kommentar schreiben

(If you're a human, don't change the following field)
Your first name.
(If you're a human, don't change the following field)
Your first name.
(If you're a human, don't change the following field)
Your first name.

Plain text

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Internet- und E-Mail-Adressen werden automatisch umgewandelt.
  • HTML - Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
Dieses Feld leer lassen (Spamprotection)